Die weltweiten Finanzmärkte stehen vor einer kritischen Phase, in der Zentralbanken zwischen widersprüchlichen Zielen navigieren müssen. Während Handelsspannungen zunehmen und politische Unsicherheiten wachsen, sehen sich die Währungshüter mit komplexen Entscheidungen konfrontiert, die weit über traditionelle geldpolitische Überlegungen hinausgehen.
Divergierende Strategien der Notenbanken
Die Europäische Zentralbank verzeichnet trotz anhaltender Handelsspannungen eine steigende Kreditnachfrage von Unternehmen. Laut der jüngsten Umfrage unter 155 großen Kreditinstituten profitiert die Nachfrage nach Unternehmenskrediten von den schnell gesenkten Zinssätzen, wird jedoch durch globale Unsicherheiten und Handelskonflikte gedämpft. Die EZB hält ihre Zinsen am Donnerstag voraussichtlich unverändert, lässt aber die Tür für weitere Lockerungen später im Jahr offen.
Ein völlig anderes Bild zeigt sich in Thailand, wo der designierte Zentralbankchef Vitai Ratanakorn eine aggressive Zinssenkungspolitik befürwortet. "Wir müssen akzeptieren, dass die thailändische Wirtschaft nicht so gut läuft", erklärte der 54-Jährige. Seine Verschreibung: deutlich mehr Zinssenkungen. "Es sind nicht nur ein oder zwei weitere Senkungen. Wir müssen sie möglicherweise lange Zeit und tiefgreifender reduzieren", so Vitai gegenüber der Finanzpresse.
Politischer Druck und Unabhängigkeit
In Japan zeigt sich das Dilemma der Zentralbanken besonders deutlich. Nach der vernichtenden Wahlniederlage von Premierminister Shigeru Ishiba steht die Bank of Japan vor einem doppelten Problem: Aussichten auf größere Staatsausgaben könnten die Inflation anheizen, während politische Lähmung und ein globaler Handelskrieg für vorsichtige Zinserhöhungen sprechen.
"Für die BOJ ist die größte Sorge, wie die Wahl den Fokus der Regierung auf die Wirtschaftspolitik verändern könnte und wie die Märkte reagieren könnten", so eine mit dem Denken der Zentralbank vertraute Quelle. Die anhaltende politische Unsicherheit könnte den Yen schwächen und die Importkosten steigen lassen, was zusätzlichen Inflationsdruck schafft.
Fiskalische Zwänge verschärfen Lage
Großbritanniens Finanzministerin Rachel Reeves steht exemplarisch für die fiskalischen Herausforderungen, die geldpolitische Entscheidungen beeinflussen. Im Juni borgte sich das Vereinigte Königreich mit 20,7 Milliarden Pfund mehr als erwartet, da hohe Inflation die Schuldenzinsen auf 16,4 Milliarden Pfund trieb – den dritthöchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen 1997.
"Jüngste Kehrtwenden beim Sozialsystem und anhaltende Wachstumsrisiken könnten eine Lücke zu den Fiskalzielen öffnen, was weitere Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen im Herbstbudget erfordern könnte", warnt Dennis Tatarkov, Chefökonom bei KPMG UK.
Moodys Ratingagentur verdeutlichte die Risiken für Japan: Die möglichen Auswirkungen einer Senkung der Mehrwertsteuer auf das Länderrating werden von "Umfang, Größenordnung und Dauerhaftigkeit" abhängen. Ein Ratingdowngrade könnte Anleihen, Yen und japanische Aktien unter Verkaufsdruck setzen.
Handelskrieg als Katalysator
Die eskalierenden Handelsspannungen verstärken den Druck auf alle Notenbanken. US-Finanzminister Scott Bessent machte deutlich, dass die Trump-Administration mehr an der "Qualität von Handelsabkommen als an deren Zeitpunkt" interessiert sei. Für Indien-US-Gespräche vor der Zollfrist am 1. August sieht es düster aus, nachdem fünf Verhandlungsrunden ohne Durchbruch blieben.
In China verschärft der Handelskrieg die Preiskämpfe und drückt die Fabrikgewinne, was Pekings Kampf gegen die Deflation erschwert. "Diese Runde der angebotsseitigen Reformen ist viel, viel schwieriger als die von 2015", erklärt He-Ling Shi von der Monash University. "Die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns ist sehr hoch."
Märkte zwischen Hoffnung und Realität
Trotz aller Unsicherheiten zeigen sich einige Lichtblicke. Die EZB-Umfrage ergab, dass die Nachfrage nach Wohnungsbaukrediten im letzten Quartal erheblich zugenommen hat, mit einem weiteren schnellen Anstieg im dritten Quartal. Auch die Kreditstandards für Hypotheken sollen sich im laufenden Quartal leicht lockern.
Der Euro profitiert von der Unsicherheit um US-Assets und stieg 2025 bereits um 13 Prozent, nachdem er im zweiten Quartal um neun Prozent zulegte. Diese Stärke bereitet jedoch europäischen Exporteuren Kopfschmerzen – SAP hatte bereits im April gewarnt, dass jeder Cent Euro-Anstieg den Jahresumsatz um etwa 30 Millionen Euro schmälern könnte.
Die Währungshüter weltweit stehen vor der schwierigen Aufgabe, zwischen kurzfristigen politischen Zwängen und langfristiger wirtschaftlicher Stabilität zu balancieren. Während einige wie Thailand auf aggressive Lockerung setzen, müssen andere wie die EZB vorsichtig zwischen Wachstumsförderung und Preisstabilität navigieren – alles unter dem Damoklesschwert eskalierender Handelskriege.