Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
jeder Klick auf ChatGPT, jedes KI-generierte Bild und jede maschinelle Datenanalyse haben etwas gemeinsam: Sie verbrauchen Energie. Enorm viel Energie. Während die Welt über die Faszination künstlicher Intelligenz diskutiert, übersehen viele die praktische Herausforderung dahinter. Die Rechenzentren, die KI-Anwendungen antreiben, benötigen gigantische Mengen an Strom. Bis 2030 soll sich der Energiebedarf von Rechenzentren weltweit mehr als verdoppeln.
Diese explosive Nachfrage stellt die Energieversorgung vor gewaltige Aufgaben. Alternative Energiequellen wie Atomkraft lassen sich nicht von heute auf morgen hochfahren. In dieser Lücke zwischen steigendem Bedarf und begrenzten Alternativen könnte ein Unternehmen besonders profitieren: Expand Energy, Amerikas größter Erdgasproduzent.
Der vergessene Gewinner des KI-Zeitalters
Expand Energy entstand 2024 aus der Fusion von Chesapeake Energy und Southwestern Energy. Das Unternehmen produziert täglich mehr Erdgas als jeder andere Anbieter in den Vereinigten Staaten. Diese Marktführerschaft kommt zur richtigen Zeit, denn Erdgas entwickelt sich zum Brennstoff der Wahl für die Stromversorgung energiehungriger Rechenzentren.
Die geografische Positionierung verschafft Expand Energy einen entscheidenden Vorteil. Die meisten Produktionsanlagen befinden sich im Nordwesten von Louisiana und in der Haynesville-Schieferregion. Diese Standorte liegen in unmittelbarer Nähe zu den LNG-Exportkapazitäten, die derzeit massiv ausgebaut werden. Bis 2029 könnte sich die amerikanische LNG-Exportkapazität verdoppeln, schätzt die U.S. Energy Information Administration.
Der Abstand zwischen Produktionsstätten und Exportterminals bedeutet niedrigere Transportkosten und höhere Margen. Während andere Produzenten ihre Ware über weite Strecken transportieren müssen, kann Expand Energy schneller und günstiger liefern. In einem Markt mit steigenden Gaspreisen wird dieser geografische Vorteil zu einem finanziellen Hebel.
Synergien entfalten ihr volles Potenzial
Die Fusion zweier Energiegiganten birgt immense Einsparpotenziale. Ursprünglich prognostizierte das Management jährliche Synergien von rund 400 Millionen Dollar. Diese Schätzung erwies sich als zu konservativ. Aktuelle Hochrechnungen gehen davon aus, dass die jährlichen Synergien bis Ende 2026 bei etwa 600 Millionen Dollar liegen werden.
Diese Kosteneinsparungen fließen direkt in die Bilanz und verbessern die Profitabilität erheblich. Die Freigeldflussrendite soll von neun Prozent in diesem Jahr auf sechzehn Prozent im kommenden Jahr steigen. Das zusätzliche Kapital ermöglicht es dem Unternehmen, seine Aktionäre großzügig zu belohnen.
Expand Energy verfolgt eine dreifache Strategie zur Kapitalbewertung. Die Dividendenrendite lag im vergangenen Jahr bei soliden drei Prozent. Darüber hinaus plant das Unternehmen, Aktien im Wert von einer Milliarde Dollar zurückzukaufen. Und drittens investiert Expand Energy massiv in neue Bohrprojekte, um die Produktion weiter zu steigern.
Erdgas als Brückentechnologie zur Energiewende
Die Debatte um fossile Brennstoffe fokussiert sich oft auf langfristige Klimaziele. Dabei wird übersehen, dass Erdgas eine zentrale Rolle in der Übergangsphase spielt. Kohlekraftwerke werden weltweit stillgelegt, erneuerbare Energien können die Lücke aber nicht sofort füllen. Gaskraftwerke bieten die notwendige Flexibilität, um Schwankungen im Stromnetz auszugleichen.
Die Vereinigten Staaten bleiben der weltweit größte Markt für Rechenzentren. Dieser Heimvorteil verschafft amerikanischen Erdgasproduzenten eine bevorzugte Position. Während internationale Konkurrenten auf komplexe Lieferketten angewiesen sind, können heimische Anbieter wie Expand Energy direkt liefern.
Der Strombedarf von KI-optimierten Rechenzentren soll bis 2030 um mehr als das Vierfache steigen. Diese Prognose berücksichtigt nur die derzeit bekannten Projekte. Sollte die KI-Entwicklung noch schneller voranschreiten, könnte die tatsächliche Nachfrage sogar höher ausfallen. Für Erdgasproduzenten bedeutet dies jahrelange Planungssicherheit.
Bewertung mit Aufholpotenzial
Trotz der starken Fundamentaldaten erscheint die Aktie von Expand Energy moderat bewertet. Das Unternehmen wird aktuell mit dem Elfachen der für 2026 erwarteten Gewinne gehandelt. Diese Bewertung wirkt bescheiden, wenn man das prognostizierte Wachstum berücksichtigt.
Analysten erwarten für 2026 einen Gewinnanstieg von mehr als zwei Dritteln gegenüber dem laufenden Jahr. Von 5,69 Dollar je Aktie soll der Gewinn auf 9,63 Dollar steigen. Diese Wachstumsdynamik spiegelt sich noch nicht vollständig im Aktienkurs wider.
Der Markt schien das Potenzial zeitweise zu erkennen. Im Juni erreichte die Aktie ihr bisheriges Jahreshoch, fiel dann aber bis Mitte September um 22 Prozent. Dieser Rückgang hatte weniger mit den Geschäftsaussichten zu tun als mit kurzfristigen Schwankungen der Erdgaspreise. Ungünstige Wetterbedingungen drückten die Nachfrage und damit die Preise.
Seitdem hat sich die Aktie deutlich erholt. Die technische Ausgangslage verbessert sich kontinuierlich. Anfang Oktober überschritt der Kurs erstmals wieder seinen 200-Tage-Durchschnitt. Das mittelfristige Momentum dreht nach oben. Charttechniker sehen Kursziele um die 130 Dollar, was einem Aufwärtspotenzial von rund 25 Prozent entspricht.
Risiken nicht ausblenden
Wie jede Investition in den Rohstoffsektor birgt auch Expand Energy Risiken. Die Erdgaspreise unterliegen natürlichen Schwankungen. Milde Winter reduzieren die Nachfrage nach Heizenergie und belasten die Preise. Auch wenn der KI-bedingte Strombedarf wetterunabhängig ist, können saisonale Faktoren kurzfristig für Volatilität sorgen.
Die Bilanz des Unternehmens zeigt Schwächen. Die Verschuldung ist nicht unerheblich, auch wenn das Management an einer schrittweisen Reduzierung arbeitet. In Phasen steigender Zinsen oder fallender Rohstoffpreise könnte die finanzielle Flexibilität eingeschränkt sein.
Zudem ist das Unternehmen auf steigende oder zumindest stabile Erdgaspreise angewiesen. Sollte ein überraschend warmer Winter die Nachfrage dämpfen oder neue Produktionskapazitäten das Angebot schneller erhöhen als erwartet, könnten die Margen unter Druck geraten.
Langfristiger Trend als Rückenwind
Die kurzfristigen Risiken ändern nichts am grundlegenden Strukturwandel. Der weltweite Energiebedarf steigt kontinuierlich. Die Digitalisierung beschleunigt diesen Trend zusätzlich. Rechenzentren, Cloud-Computing und künstliche Intelligenz sind keine vorübergehenden Modeerscheinungen, sondern fundamentale Entwicklungen der modernen Wirtschaft.
Expand Energy als größter Erdgasproduzent Amerikas steht im Zentrum dieser Entwicklung. Die geografischen Vorteile, die realisierten Fusionssynergien und die robuste Marktposition bieten eine solide Basis für zukünftiges Wachstum. Das Unternehmen investiert gezielt in die Erschließung neuer Gasfelder und den Ausbau der Produktionskapazitäten.
Die attraktive Dividendenrendite und das aktive Aktienrückkaufprogramm zeigen, dass das Management auch die Interessen der Aktionäre im Blick hat. Diese Kombination aus Wachstum und Ausschüttungen macht die Aktie sowohl für wachstums- als auch für einkommensorientierte Anleger interessant.
Fazit: Der unsichtbare Profiteur des Technologiebooms
Während Investoren über die neuesten KI-Aktien diskutieren, übersehen viele die Infrastruktur, die diesen Boom erst möglich macht. Expand Energy gehört zu jenen Unternehmen, die im Hintergrund arbeiten, aber von der steigenden Energienachfrage massiv profitieren könnten.
