Die Weltwirtschaft steht vor einem Jahr voller Spannungen: Während künstliche Intelligenz die USA beflügelt, kämpft China mit Deflation und Wachstumsschwäche. Handelskonflikte bleiben virulent, Zentralbanken navigieren zwischen Inflationsdruck und Konjunkturstütze, und Finanzminister müssen mit aufgeblähten Haushalten jonglieren. Capital Economics identifiziert fünf Makro-Themen, die 2026 dominieren dürften – und die für Anleger weitreichende Konsequenzen haben.
KI-Boom treibt Amerika, Europa bleibt zurück
Die wirtschaftlichen Effekte der künstlichen Intelligenz werden sich weiter verstärken, allerdings mit deutlichen regionalen Unterschieden. Nach Schätzungen von Capital Economics steuerte KI bereits im ersten Halbjahr 2025 rund 0,5 Prozentpunkte zum US-Wachstum bei – ein Trend, der sich 2026 fortsetzen dürfte. Die Prognose für die USA liegt bei 2,5 Prozent und damit über dem Konsens. Der Treiber: massive Investitionen in KI-Infrastruktur, allen voran Rechenzentren. „Die Datenzentren sind das Aushängeschild des KI-Booms“, bestätigt Bank of America in ihrer Analyse und verweist auf die erheblichen Impulse für Software- und Ausrüstungsinvestitionen.
Europa hingegen hinkt hinterher. Für die Eurozone erwartet Capital Economics nur ein Prozent Wachstum, für Großbritannien 1,2 Prozent – jeweils unter Konsensschätzungen. Der Grund: schleppende KI-Adoption und strukturelle Schwächen. Diese Divergenz spiegelt sich auch an den Aktienmärkten wider. Die S&P-500-Bewertungen sind zwar erhöht, aber laut Capital Economics „noch nicht so überdehnt“ wie während der Tech-Blase der späten 1990er Jahre. Bei anhaltendem Gewinnwachstum sieht Chefvolkswirt Neil Shearing Spielraum für weitere Kursgewinne – die Prognose liegt bei 8.000 Punkten bis Ende 2026.
China steckt in der Deflationsfalle
Während die USA von KI profitieren, bleibt China in strukturellen Problemen gefangen. Zwar hat das Land technologisch aufgeholt, doch das Wirtschaftsmodell knirscht gewaltig. Die Überbetonung von Produktion statt Konsum führt zu Überkapazitäten und schwacher Binnennachfrage. Capital Economics rechnet 2026 erneut nur mit rund drei Prozent Wachstum – ohne erkennbare politische Kehrtwende.
Die Folge: Das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage weitet den Handelsüberschuss aus und verstärkt den Deflationsdruck. Symptomatisch dafür fiel die Rendite zehnjähriger chinesischer Staatsanleihen erstmals unter japanisches Niveau. Die Europäische Zentralbank warnte bereits, dass China seit 2021 – dem Beginn der Immobilienkrise – Überschüsse zu Dumpingpreisen auf europäische Märkte wirft. Nach Angaben der EZB akzeptieren chinesische Firmen dabei schmale Margen oder sogar Verluste, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Der Preiskampf hat sich verschärft, seit US-Zölle und schwache heimische Nachfrage chinesische Unternehmen zwingen, verstärkt nach Europa zu exportieren.
Handelskrieg auf Sparflamme – vorerst
Das Abkommen zwischen Xi und Trump hat die unmittelbare Eskalationsgefahr entschärft, doch die Spannungen schwelen weiter. Eine einjährige Sunset-Klausel könnte Ende 2026 zum neuen Konfliktherd werden. Capital Economics warnt: Washingtons wachsende Abhängigkeit von Zolleinnahmen macht einen Abbau der Handelsbarrieren unwahrscheinlich. Lieferketten für kritische Güter werden sich weiter von China wegverlagern – möglicherweise verschärfen Änderungen am USMCA-Abkommen die Ursprungsregeln und erschweren es Peking, Waren über Mexiko in die USA zu schleusen.
Goldman Sachs sieht in der verstärkten chinesischen Konkurrenz „mehrdeutige Implikationen“ für die EZB-Politik. Während billige Importe die Inflation dämpfen könnten, hänge der Gesamteffekt davon ab, wie sich Binnennachfrage und heimische Produktion anpassen. Die Analysten erwarten, dass die EZB ihre Leitzinsen auf absehbare Zeit unverändert lässt – solange Inflationserwartungen verankert bleiben. Allerdings: „Die Risiken für unsere Basisprognose neigen zu weiteren Zinssenkungen im nächsten Jahr.“
Zentralbanken enttäuschen Trump-Hoffnungen
Geldpolitische Lockerung bleibt 2026 das Thema, allerdings mit starken regionalen Unterschieden. In den USA dürfte die Fed enttäuschen: Robuste Konjunktur und eine Inflation nahe drei Prozent sprechen gegen aggressive Zinssenkungen. Capital Economics sieht nach einer möglichen Dezember-Senkung nur noch einen weiteren Schritt 2026 – der Leitzins würde dann bei 3,25 bis 3,50 Prozent verharren. Das könnte Konflikte mit Präsident Trump provozieren, zumal Spekulationen über Kevin Hassett als künftigen Fed-Chef die Runde machen. Hassett gilt als Befürworter tieferer Zinsen.
Die Märkte preisten zuletzt eine 87-prozentige Wahrscheinlichkeit für eine 25-Basispunkte-Senkung im Dezember ein. Morgan Stanley, JPMorgan und Bank of America haben ihre Prognosen angepasst und erwarten nun einen Zinsschritt – nachdem zuvor von einem Pausieren ausgegangen wurde. Doch mehrere Fed-Mitglieder zeigen sich gespalten: Während einige den Arbeitsmarkt stützen wollen, warnen andere vor den Inflationsrisiken weiterer Lockerungen.
Eurozone und Großbritannien dürften etwas stärker senken als eingepreist, Brasilien hat Spielraum für deutlichere Schritte. Japan bleibt Ausreißer: Die Bank of Japan könnte die Zinsen auf 1,25 Prozent anheben. „Wenn wir damit richtig liegen, sollte 2026 ein besseres Jahr für den Dollar gegenüber Euro und Pfund werden – der Yen könnte allerdings leicht aufwerten“, prognostiziert Shearing.
Fiskalrisiken lauern im Hintergrund
Die Haushaltsprobleme, die 2025 Investoren nervös machten, verschwinden nicht. Frankreich, die USA und Großbritannien weisen hohe Defizite bei ohnehin aufgeblähten Schuldenständen auf. Capital Economics betont: Es gibt „keine einzelne Schwelle“ für eine Krise, doch politische Schocks könnten Märkte zwingen, die Tragfähigkeit neu zu bewerten. Mögliche Auslöser: Frankreichs Parlamentswahl 2027, ein Führungswechsel in London oder Signale, dass in Washington vertrauenswürdige Wirtschaftsberater an Einfluss verlieren.
Zentralbanksenkungen und milde finanzielle Repression dürften Anleihemärkte stabilisieren, warnt Shearing – doch „kurze, heftige Ausverkäufe aus fiskalischen Sorgen“ werden wahrscheinlich wiederkehren. Bank of America zeichnet für die USA ein gemischtes Bild: Während KI-Optimismus Tech-Aktien stützt und wohlhabende Haushalte weiter konsumieren, zeigt sich eine „K-förmige“ Konjunktur mit deutlichen Disparitäten. Die Immobilienkrise bleibt virulent – Hypothekenzinsen um 6,4 Prozent und Hauspreise 16 Prozent über dem Vorpandemie-Trend treiben das Medianalter von Erstkäufern auf ein Rekordhoch von 40 Jahren.
Währungen im Umbruch
An den Devisenmärkten zeichnet sich eine mögliche Trendwende ab. Der Dollar, der 2025 rund neun Prozent verlor und auf das schlechteste Jahr seit 2017 zusteuert, könnte stabilisieren oder sogar zulegen. Zwar erwarten rund 85 Prozent der in einer Reuters-Umfrage befragten Strategen wenig Änderung oder einen Anstieg bei den Netto-Short-Positionen – doch knapp 30 Prozent sehen den Greenback nun kurzfristig steigen, gegenüber nur sechs Prozent im November.
Der Ungar-Forint, 2025 mit acht Prozent Spitzenreiter in Mittelosteuropa, könnte seinen Zenit erreicht haben. Analysten erwarten einen Rückgang auf 390 zum Euro binnen Jahresfrist. Die Tschechische Krone hingegen dürfte ihre Gewinne verteidigen und bei 24,1 pro Euro bleiben – gestützt durch striktes Zinshalten und Konjunkturaufschwung. Der polnische Zloty und der rumänische Leu bleiben Nachzügler. Der Yen profitiert von möglichen BoJ-Zinsschritten, während Positionierungen im Carry-Trade aufgelöst werden könnten.
Die globalen Finanzmärkte stehen vor einem Jahr der Gegensätze: KI-getriebenes US-Wachstum trifft auf europäische Stagnation, chinesische Deflation auf amerikanische Inflationssorgen, expansive Fiskalpolitik auf restriktive Geldpolitik. Für Anleger bedeutet das: Selektivität wird entscheidend – und Volatilität bleibt Programm.
