Sehr geehrte Leserinnen und Leser,
während die Welt auf Nvidia und die großen Tech-Konzerne schaut, vollzieht sich im Hintergrund eine dramatische Verschiebung. Die Milliardeninvestitionen in künstliche Intelligenz drohen ins Leere zu laufen. Der Grund ist simpel: Es fehlt an Strom. Teure KI-Chips liegen ungenutzt in Lagerhallen, weil die Rechenzentren nicht ans Netz können. Doch eine Gruppe von Unternehmen hat die Lösung gefunden – und ihre Aktien explodieren förmlich.
Microsofts 100-Milliarden-Dollar-Problem
Microsoft-Chef Satya Nadella formulierte das Dilemma kürzlich ungewöhnlich deutlich. Seine größte Herausforderung sei nicht die Beschaffung von KI-Hardware. Das eigentliche Problem liege darin, Rechenzentren schnell genug mit Strom zu versorgen. Die Konsequenz: Teure Nvidia-Chips liegen ungenutzt herum, weil sie nicht an Elektrizität angeschlossen werden können. Was Nadella beschreibt, ist kein Microsoft-spezifisches Problem. Es ist die Achillesferse der gesamten KI-Revolution.
Jahrelang profitierten vor allem traditionelle Energieversorger vom KI-Boom. Unternehmen wie Constellation Energy, Vistra und Talen Energy schickten Strom ins Netz. Turbinenhersteller wie GE Vernova und Siemens Energy lieferten die großen Generatoren. Ihre Aktienkurse stiegen monatelang fast ununterbrochen. Doch diese Phase endet gerade. Die Kurse dieser etablierten Player stagnieren oder fallen sogar zweistellig.
Die neue Generation der Strom-Lieferanten
An ihre Stelle tritt eine völlig neue Gruppe von Profiteuren. Es sind Unternehmen, die man normalerweise nicht mit Stromerzeugung in Verbindung bringt. Der Baumaschinengigant Caterpillar gehört dazu. Der Motorenhersteller Cummins. Ölfelddienstleister wie Baker Hughes, Liberty Energy und ProPetro Holding. Und Brennstoffzellen-Spezialist Bloom Energy. Ihre gemeinsame Stärke: Sie können schnell liefern.
ProPetro Holdings legte innerhalb eines Monats um 113,7 Prozent zu. Bloom Energy gewann 46,3 Prozent. Liberty Energy kletterte um 43,9 Prozent. Selbst die Schwergewichte Caterpillar und Cummins verzeichneten Zuwächse von über 15 Prozent. Zum Vergleich: Der breite Markt bewegte sich im gleichen Zeitraum kaum.
Geschwindigkeit schlägt Effizienz
Zwei Faktoren treiben diese Entwicklung voran. Der erste ist die schiere Dringlichkeit. Tech-Konzerne können nicht Jahre warten, bis neue Kraftwerke gebaut und ans Netz angeschlossen sind. Sie brauchen Lösungen heute. Der zweite Faktor ist politischer Natur. In mehreren US-Bundesstaaten werden Rechenzentren für steigende Strompreise verantwortlich gemacht. Politiker fordern, dass neue Datenzentren ihren Strom selbst erzeugen sollen.
US-Energieminister Chris Wright brachte einen konkreten Vorschlag ein. Rechenzentren mit eigener Stromversorgung sollten beschleunigte Genehmigungen erhalten. Diese Kombination aus Zeitdruck und politischem Willen öffnet ein riesiges Geschäftsfeld. Und sie spielt Unternehmen wie Caterpillar perfekt in die Karten.
Caterpillar: Vom Bagger zum Kraftwerk
Caterpillar ist weltweit für seine gelben Baumaschinen bekannt. Doch das Unternehmen produziert auch Gasturbinen und spezialisierte Motoren. Diese wurden bisher vor allem genutzt, um Öl und Gas durch Pipelines zu pumpen. Jetzt werden sie zu Stromgeneratoren für Rechenzentren umfunktioniert. Die Turbinen sind deutlich kleiner als die 500-Megawatt-Giganten von GE Vernova. Caterpillars stärkste Einheiten schaffen 39 Megawatt. Auch die Effizienz ist geringer.
Doch in der aktuellen Situation zählt das nicht. Große Turbinen haben Lieferzeiten von Jahren. Caterpillar kann seine Anlagen hingegen kurzfristig per Lkw zu Rechenzentren transportieren und vor Ort installieren. Diese Flexibilität ist Gold wert. Meta Platforms entschied sich für Caterpillar-Turbinen bei einem Rechenzentrum in Ohio. Das Stargate-Projekt von OpenAI in Texas setzt ebenfalls auf die Technologie.
Die Reaktion des Unternehmens zeigt, wie ernst es die Chance nimmt. Caterpillar kündigte Anfang November an, die Motorenproduktion zu verdoppeln. Die Kapazität für Gasturbinen soll bis 2030 um das 2,5-fache steigen. Analysten von J.P. Morgan rechnen damit, dass das Stromgeschäft den Gewinn pro Aktie in drei Jahren um mindestens 10 Dollar erhöhen wird. Das wäre fast die Hälfte des aktuellen Jahresgewinns. Die Bank sieht den Kurs bei 730 Dollar – ein Potenzial von fast 30 Prozent.
Cummins versorgt den größten Rechenzentrums-Betreiber
Ähnlich agiert Cummins. Der Konzern ist bekannt für Lkw-Motoren und Motoren für schwere Maschinen. Diese Aggregate werden nun Digital Realty geliefert, dem weltgrößten Betreiber von Rechenzentren. Die Umwidmung bestehender Technologie ermöglicht einen schnellen Markteintritt. Gleichzeitig erschließen sich beide Unternehmen einen Wachstumsmarkt mit enormem Potenzial.
Fracking-Spezialisten werden zu Strom-Lieferanten
Besonders überraschend ist der Erfolg der Ölfelddienstleister. Liberty Energy und ProPetro waren bisher vor allem für Fracking bekannt. Ihre Aktienkurse litten unter dem Rückgang der Ölförderung in den USA. Doch beide Unternehmen besitzen durch ihr Kerngeschäft Zugang zu Turbinen. Diese Turbinen werden nun für Tech-Konzerne eingesetzt. In wenigen Wochen haben Liberty Energy und ProPetro erste Verträge im Rechenzentrums-Geschäft abgeschlossen. Die Börse reagierte euphorisch.
Bloom Energy: Brennstoffzellen statt Stromnetz
Einen anderen Weg geht Bloom Energy. Das Unternehmen produziert Brennstoffzellen in der Größe von großen Kühlschränken. Sie funktionieren ähnlich wie Batterien und können dezentral Strom erzeugen. Bloom hat Verträge mit Unternehmen wie Oracle geschlossen. Der Vorteil liegt auf der Hand: Kunden kaufen die Brennstoffzellen einfach und umgehen die langwierige Netzanbindung komplett.
Die Aktie hat sich in diesem Jahr verfünffacht. Bloom-Chef KR Sridhar prägte dafür einen eingängigen Begriff: BYOP – Bring Your Own Power. Seine Botschaft an Rechenzentren: Wartet nicht auf das Stromnetz, sondern bringt euren eigenen Strom mit. Das Unternehmen liebt diesen Ansatz, wie Sridhar freimütig zugibt. Und die Kunden offenbar auch.
Die alten Gewinner geraten ins Hintertreffen
Während die neuen Player durchstarten, geraten die etablierten Energieversorger unter Druck. GE Vernova und Vistra verloren im vergangenen Monat jeweils zweistellig. Analysten sehen darin allerdings auch Chancen. J.P. Morgan empfiehlt, den Rücksetzer bei GE Vernova zum Einstieg zu nutzen. Auch für Constellation, Vistra und Talen gibt es weiterhin Kaufempfehlungen.
Die Begründung: Diese Unternehmen sind erfahrene Betreiber von Grundlastkraftwerken. Langfristig werden auch große, effiziente Turbinen gebraucht. Doch selbst optimistische Analysten räumen ein, dass der Vorsprung der traditionellen Versorger schwindet. Die dezentralen Lösungen gewinnen an Bedeutung.
Ein neues Kapitel im Energiemarkt
Die Entwicklung markiert einen Wendepunkt. Der KI-Boom schafft nicht nur neue Gewinner bei Chipherstellern und Software-Entwicklern. Er verändert auch fundamental den Energiemarkt. Unternehmen, die bisher Baumaschinen, Lkw-Motoren oder Fracking-Ausrüstung herstellten, werden zu unverzichtbaren Partnern der Tech-Industrie.
Die Zahlen belegen: Dieser Trend steht noch am Anfang. Caterpillar verdoppelt seine Kapazitäten. Bloom Energy verfünffacht seinen Börsenwert. ProPetro verdoppelt den Kurs innerhalb eines Monats. Das sind keine kurzfristigen Spekulationsblasen. Es sind Antworten auf ein reales, drängendes Problem der KI-Revolution.
Für Anleger eröffnet sich hier eine faszinierende Möglichkeit. Statt auf die offensichtlichen KI-Profiteure zu setzen, können sie auf die Infrastruktur dahinter wetten. Die Unternehmen, die das Stromproblem lösen, verdienen an jedem Rechenzentrum mit – unabhängig davon, welche KI-Modelle dort trainiert werden.
Die Uhr tickt im Wettlauf um KI-Dominanz. Doch anders als viele erwartet hatten, entscheidet nicht die beste Software über Sieg oder Niederlage. Es ist die Frage, wer am schnellsten Strom liefern kann.
